Steven Spielberg – der Großmeister des Blockbuster-Kinos – gibt sich einmal mehr die Ehre und tauscht den ledernen Produzentensessel gegen den Stoff bezogenen Regiestuhl. Da ich mir sein viel gelobtes Drama „Die Verlegerin“ geklemmt habe, weil ich nach dem eigentlich guten „The Circle“ Tom Hanks in der Rolle als irgendwer nicht mehr ertragen kann, ist mir als letztes Kinoerlebnis unter Spielbergs Regiearbeit die Roald-Dahl-Verfilmung „Big Friendly Giant“ noch in ganz positiver Erinnerung. Aber natürlich kennt man von ihm besonders seine Filme aus den 70er, 80er und 90er Jahren, die fast alle zur ungeschriebenen „Hall of Fame“ des Kinos gehören. Nimmt man seine Arbeit als Produzent dazu, so gibt es wahrscheinlich niemanden in der filmbegeisterten Welt, der noch nie einen von ihm verantworteten Film gesehen hat.
Nun muss es wohl schon ein besonderer Stoff sein, der in Spielbergs Kopf zu einer Vision heranwächst, die er selbst umsetzen möchte. Mit der Verfilmung von Ernest Clines Roman „Ready Player One“ hat der den definitiv. Schon vor Erscheinen dieses weltweit hoch gelobten und millionenfach verkauften Buches hatte sich Warner die Filmrechte gesichert. Die Geschichte könnte man als ein Zusammenspiel von Dystopie und nostalgischer Utopie bezeichnen: Menschen im Jahr 2045 fliehen vor der wirklichen Welt, in der die Menschheit den Kampf gegen die Umweltzerstörung aufgegeben hat, in die virtuelle OASIS und führen dort ihr eigentliches Leben. Dabei zehren sie von einer Traumwelt aus Erinnerungen, besonders an die guten alten 80er Jahre. Der Jugendliche Wayde Owen Watts, der nach dem Tod seiner Eltern in einem Trailerpark bei seiner verwahrlosten Tante und ihrem gewalttätigen Freund lebt, hat sich als Parzival eine zweite Existenz in der OASIS aufgebaut. Als der legendäre Erfinder dieser Welt, Superhirn und Supernerd James Halliday, nach seinem Tod die Frage seiner Erbfolge zu einer weltweiten Suche nach einem in der OASIS versteckten Easter Egg macht, will "Parzival" zusammen mit seiner virtuellen Liebe "Art3mis" die gestellten Rätsel lösen. Denn der böse Megakonzert IOI giert ebenfalls mit allen Mitteln nach den Milliarden und der totalen Kontrolle über die virtuelle Welt.
Mehr als diese Ausgangssituation muss man eigentlich nicht wissen. Bemerkenswert - und das laut der Rezensenten schon an dem Buch – ist diese Mischung aus durch wahnwitzig viele Verweise auf die Popkultur ausgelösten „Nerdgasms“ (Zitat: New York Times) und einem harten dystopischen Krimistoff mit zeitkritischen Anlagen. Moment mal, zeitkritisch? Da muss ich doch gleich mal in meine Lieblingszeitung für Filmkritiken schauen! „Die Welt“ findet den Film natürlich scheiße, weil Gesellschaftskritik weder bunt sein, noch Spaß machen darf. Dann verstehen die Menschen doch die Kritik nicht! Es sei denn, jemand steht daneben und erklärt ihnen explizit die Gefahren der virtuellen Realität! Obwohl, so ganz offen wird das in dem Artikel gar nicht ausgesprochen. Vielleicht wollen sie verheimlichen, dass sie auch Spaß an dem Film hatten. Aber das geht für gestandene (Pseudo-)Intellektuelle natürlich nicht. Spielberg ist unter ihrem Niveau. OK, nach so viel Vorgeplänkel startete ich also zum Kinostart gestern den Selbstversuch: Verstehe ich diese Sache mit virtuell und Wirklichkeit? Und kann ich trotzdem noch ein wenig Spaß im Kino haben?
Die Antwort: JAAAA! Ich fand das Ding mega!!!! „Ready Player One“ ist ein Film, für den der Begriff Blockbuster erfunden wurde. Ich finde auch nicht, dass die dystopischen Aspekte der Geschichte für einen normal denkenden, nicht intellektuell verkalkten Menschen zu unterschwellig sind. Im Gegenteil. Zu Beginn wird jedem Zuschauer klar, dass in dieser Welt des Jahres 2045 die Wirklichkeit nichts wert ist. Die Mutter, die ihr hungerndes Kind wegstößt, weil sie gerade auf Planet Doom Monster erlegt, ist da doch sehr eindeutig. Dann folgen die ersten Szenen in der OASIS, der einzige Moment, in dem ich mir gedacht habe, vielleicht wird der Film doch scheiße, wenn es so weitergeht. „Assassin‘s Creed“ lässt grüßen. Aber weit gefehlt! Der Spaß kommt mit den vielen, teilweise sehr originell in die Geschichte eingefügten Bezügen zur 80er-Jahre-Popkultur und wird dann weitergetragen von einer exzellenten Mischung aus Witz, Spannung, Dramatik und Romantik. Hollywood halt. Aber in besten Sinne des Wortes. Einfach unglaublich unterhaltsam! Und ganz nebenbei dann so ein Dialog: Parzival: "Ich hatte noch nie ein virtuelles Date" - Art3mis: "Als wenn das jemals funktioniert!" und kurze Zeit später: "In der OASIS zeige ich Dir, was du sehen sollst, und verstecke, was du nicht sehen sollst. Und darin bist du verliebt, nicht in mich!" - Ja, liebe Freunde, der gewöhnliche Zuschauer versteht durchaus das Problem. Haltet die Leute doch nicht für dämlich! Was ist daran auszusetzen, wenn der Film mit der Aussage schließt: „Die Realität ist das einzige, was wirklich real ist“? Habt ihr dem noch etwas hinzuzufügen? Ich nicht!
Für mich kann es Spielberg immer noch. Der Mann hat mit seinen 71 Jahren nicht ein Funken Spaß an Filmen verloren. Ich habe ja das Buch (noch) nicht gelesen, aber ich finde es ohnehin besser, zuerst die Verfilmung und dann das Buch zu kennen. Auf diese Weise hat man an beidem Spaß. In 3D mit I-Sense-Sound ist „Ready Player One“ auf jeden Fall ein Erlebnis, das sich niemand entgehen lassen darf, der gerne ins Kino geht. Und jetzt starrt nicht länger auf den Bildschirm, sondern geht raus in die wirkliche Welt! Sonst kommt doch noch ein Redakteur und erklärt Euch die Gefahren der virtuellen Realität, vielleicht in einem Pop-Up-Online-Tutorial, wer weiß. :-) (gepostet: 6.4.2018)