Volunteer bei der EM 2024

Für die EM 2024 in Deutschland wurden 10 Städte als Spielorte ausgewählt, darunter meine Heimatstadt Gelsenkirchen. Wenn 250000 Einwohner fast 350000 Besucher erwarten und zudem die ganze Fußballwelt auf diesen Ort blickt, wollte ich unbedingt hautnah dabei sein. Einfach ein Spiel schauen, für das man sehr schwer Karten bekommt, war mir nicht genug. Also bewarb ich mich als Volunteer bei der UEFA. Es hat funktioniert. Ich war mittendrin und konnte zudem einige interessante Blicke hinter die Kulissen werfen. So etwas bekommt man als normaler Zuschauer nicht. Aber von vorne.

 

Während des Turniers wurden von Seiten der Presse einige unschöne Dinge über unsere Stadt geschrieben und gesagt. Besonders deutsche Journalisten wärmten das Thema immer wieder auf. Aber welche Stadt bekommt schon in einem Sommer die EM, Taylor Swift, Rammstein und zudem die Rolling Stones und AC/DC? Das klingt verdächtig nach einer alten Weisheit: Mitleid kriegt man umsonst. Neid muss man sich erarbeiten. 

 

Also, was war dran an der Party im „Shithole“? Fakt ist: Mit dem Spiel England gegen Serbien hatten wir direkt eine aufregende Party in der Arena. Schon im Vorfeld gab es die schlechte Presse über Gelsenkirchen und auch die Verkehrssituation nach dem Spiel wurde kritisiert. Beides kann ich in gewisser Hinsicht nachvollziehen. Der Hauptbahnhof Gelsenkirchen gehört zu den hässlichsten Orten der Stadt und macht keinen guten Eindruck auf ankommende Besucher. Das ist ein generelles Problem. Auch hatte man von Seiten der Verwaltung offenbar Vorbehalte gegen die englischen Gäste und wies ihnen eine spezielle Fanzone weit ab der Innenstadt auf der Pferderennbahn zu. Nachdem ich mit vielen englischen Fans gesprochen habe, konnte ich den Ärger verstehen. Gerade in England sind Fußball und Pubs untrennbar miteinander verbunden. Aber auf der Rennbahn gab es nur Bierstände mit überteuertem Light-Beer. So kann man keine Fußball-Party feiern. Gäste, die sich wohl fühlen sollen, quartiert man nicht in irgendeinen Abstellschuppen ein. Was den ÖPNV nach dem Spiel betrifft: Ich war selbst beim ersten Spiel mit der Bahn da (danach nicht mehr) und es war auch noch weit über eine Stunde nach dem Ende übervoll an den Haltestellen. Erst danach kamen auch Shuttlebusse und lösten die Situation. Die Stadt Gelsenkirchen, die anfangs offenbar ein wenig zu viel Angst vor den englischen Fans hatte, hat schnell aus diesen Anfangsfehlern gelernt. Derartige Probleme gab es von da an nicht mehr. Auch die Engländer haben sich schnell mit Gelsenkirchen versöhnt. Wundert mich nicht, wir sind eben einfach nett hier. 😊  

Die Vorbereitung

Alles begann mit einer Online-Bewerbung im August 2023. Im September bekam ich die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in von der UEFA angemieteten Räumen der Stadtverwaltung. Ich ging hin und wollte nur eins: am Stadion arbeiten, an der Arena! Während ein paar persönlichen Fragen und der Prüfung meiner Englischkenntnisse habe ich immer nur diesen einen Satz gesagt. Ende Januar 2024 bekam ich die Zusage. „Spectators Service“ nannte sich mein Arbeitsbereich und das bedeutete, dass ich an und in der Arena den Menschen den Weg zeigen, bei kleinen Problemen helfen und gute Laune verbreiten sollte. In meinem UEFA-Account stand nun „Bewerbung akzeptiert“. Ich konnte es kaum erwarten.

 

Am 4. Mai sollte es dann endlich losgehen. Die UEFA lud zum „Volunteer Kick-Off“ in die Arena ein. Es gab frei Essen und frei Trinken, ein kleines Bühnenprogramm und ein paar Ehrengäste, unter anderen die Bürgermeisterin und Fußball-Legende Klaus Fischer. Zwischenzeitlich absolvierte ich einen Online-Lehrgang und nahm an einem Vormittag freiwillig Unterricht in Gebärdensprache, alles Angebote für die Volunteers. Inzwischen wussten wir, dass zumindest England, Serbien, Spanien, Italien, Portugal und Georgien in Gelsenkirchen sein würden. Entsprechende Sprachkurse wurden ebenfalls angeboten, aber dafür hatte ich keine Zeit. Eine Woche vor Turnierbeginn versammelten wir uns wieder in der Arena für eine weitere Fortbildung. Unser Leiter, ein junger und unglaublich netter Grieche namens Paris erklärte uns unsere Aufgaben, Dos und Don’ts und besonders das Credo aller Volunteer: „Lächelt, habt Spaß, achtet auf Eure Gesundheit und wendet Euch an uns, wenn Ihr irgendwie Hilfe braucht“. Um das vorwegzunehmen: Dieses Credo wurde jederzeit von allen Seiten erfüllt.

 

Ein paar Einschränkungen gab es allerdings auch: Wir dürften das Spiel nicht live im Stadion schauen. Dafür gab es in unserem „Volunteer-Center“, das sich im stadioninternen Schalke-Museum befand, jede Menge Fernseher. Wir sollten keine Fotos mit Prominenten machen und zudem weder rauchen noch Alkohol trinken. Aber das war angesichts der Aufgaben zu verschmerzen.  

Der erste Spieltag

Gott, war ich aufgeregt! Ich konnte mir nicht vorstellen, wie das ist, wenn man 50000 Fußballfans in die Arena rein- und hinterher wieder rausbringen soll. Für den Anpfiff um 21 Uhr bei England gegen Serbien trafen wir uns schon um halb 3 Uhr nachmittags. Wir zogen Nationenkarten, um in unsere Teams zu kommen. Ich wählte die Niederlande-Karte, einfach aus Sympathie zu diesem Land. So kam ich in das Team, das am ersten Tag für den Infostand direkt vor der Arena zuständig war. Von 3 Uhr nachmittags bis Mitternacht waren wir damit beschäftigt, Ausrüstung an die übrigen Teams zu verteilen (Winke-Hände, Schilder, Leuchtstäbe, Regenponchos und ähnliches), den Fans ihre Fragen zu beantworten und viel gute Stimmung zu verbreiten. Eine Besonderheit war, dass wir Eltern mit Kindern ansprechen sollten, damit die Kinder ein Armband bekamen, auf dem Name und Handynummer der Eltern stand. Das sollte helfen, falls sie verloren gingen. Wir haben viele Armbänder verteilt, verloren gegangen ist kein Kind. Dafür konnten wir als Lost-and-Found-Punkt einige Menschen sehr glücklich machen, denen wir ihre Geldbörsen oder ihre Handys zurückgaben. Ein Engländer war so glücklich, dass er dem kompletten Team einen ausgeben wollte. Aber das war nicht nötig. Ohnehin sind mir gerade die englischen Fans als sehr höfliche und geduldige Menschen begegnet, die es wirklich nicht verdient haben, auf die Pferderennbahn abgeschoben zu werden (siehe oben). Betrunken waren die wenigsten, da hat wohl doch die Light-Beer-Taktik gewirkt. Kurz vor Spielbeginn durfte ich mir in der Arena kurz ansehen, wie die Engländer ihre Hymne sangen. Das war phänomenal. Einer sagte mir, dass sie niemals einen Titel gewinnen werden: „1966 an that’s it“, waren seine Worte. Mal sehen.

 

Das Spiel gegen die Serben gewannen sie mit 1:0 und mit Ausnahme einer Kneipenschlägerei in der City blieb alles friedlich. Es ist bemerkenswert, wie 50000 Menschen, die innerhalb von drei Stunden ein Stadion betreten, es alle zugleich nach Spielende wieder verlassen wollen. Da war viel los und das Chaos im ÖPNV tat sein Übriges. Nach 10 Stunden war ich endlich zuhause und hatte einen unglaublichen Tag. Drei weitere sollten noch folgen.

Die weiteren Spieltage

Am zweiten Spieltag hatten wir Spanien und Italien zu Gast. Ich selbst kam in das Team Rumänien. Dieses Mal sollten wir außerhalb des Stadions arbeiten, nämlich am Parkplatz, wo die Shuttle-Busse standen, die die Stadt dieses Mal vorsorglich schon im Vorfeld angefordert hatte. Das Spitzenspiel der Vorrunde, wie es viele nannten, war für mich ein entspannter Tag, da ich den Leuten nur den Weg zum Stadion zeigen musste, den sie ohnehin schon kannten. Spanier und Italiener waren tatsächlich eher ruhige Vertreter, dafür habe ich mich prima mit den Kollegen von der Parkplatzkontrolle verstanden. Mit einem Studenten aus Tunesien führte ich lange Gespräche und in meiner Pause während des Spiels konnte ich einmal mehr ins Stadion schauen. Kurz vor Spielende gab es eine witzige Diskussion. Zwei Motorradpolizisten, Busfahrer, Ersthelfer und Volunteers versammelten sich vor dem Parkplatz, weil keiner wusste, wann und wo die Shuttlebusse abfahren sollten. Trotz der Situation waren alle sehr entspannt. Es wirkte wie eine lockere Plauderei, obwohl wir bei Ende des Spiels, das die Spanier mit 1:0 gewannen, immer noch nicht mehr wussten. Aber das hat sich dann von selbst ergeben und dank der Shuttlebusse hielt sich das Verkehrschaos tatsächlich in Grenzen.

 

Gab sich am zweiten Spieltag der spanische König bei uns die Ehre, so war es am dritten der König von Portugal: Cristiano Ronaldo. Er spielte gegen Georgien, ach ja, der Rest der portugiesischen Mannschaft auch, aber das interessierte viele Menschen offenbar nur marginal. Stattdessen wurde ich mehr als einmal gefragt, wo man am besten zum Rasen käme, weil die Leute „flitzen“ wollten, seltsame Auffassung von einem schönen Fußballabend. Für Klicks tun manche eben alles. Ich war wieder Team Rumänien und am VIP-Eingang positioniert. Am heißesten Spieltag setzte mir die Sonne ganz schön zu. Doch als ich zur „Erholung“ für eine Stunde als Sitzplatzanweiser arbeitete, war es noch anstrengender, da ich ständig die Treppen rauf und runter laufen musste. So bekam ich später am VIP-Eingang noch mit, wie Ronaldos Frau und seine Kinder das Stadion verließen. Selbst sie brauchten 10 Security-Leute und konnten sich nur mit Mühe den vielen Handykameras entziehen. Der Höhepunkt des Abends war die Fan-Prozession der Georgier rund ums Stadion, denn ihre Mannschaft schlug die Portugiesen tatsächlich mit 2:0. Auf meinem Weg nach Hause steckte ich dann auch entsprechend in ihrem Autokorso fest. Da ich durch den Stadtteil Bismarck muss, kam ich auch gleich in den nächsten, denn die türkische Mannschaft war an diesem Abend ebenfalls ins Achtelfinale eingezogen. Das ist Gelsenkirchen. 😊

 

Das Achtelfinale, und damit das letzte Spiel in der Arena, wurde zwischen England und der Slowakei ausgetragen. Wieder im Team Niederlande stand ich am Eingang E und durfte die Fans begrüßen. Meine niederländische Kollegin Wijkaatje und ich hatten jede Menge Spaß, obwohl die Engländer nicht sehr optimistisch waren (Ich: „Have fun!“, Englischer Fan: „We are watching England, how much fun could that be?“). Lange lagen die Engländer 1:0 hinten und in der Nachspielzeit waren schon einige gegangen. Wir bereiteten uns gerade auf den Abgang der Fans vor, als die Arena bebte: 1:1, Verlängerung, heißt für den Volunteer: Überstunden! Einige Fans versuchten wieder reinzukommen, leider war das von der UEFA verboten worden. Als die Arena kurz nach Wiederanpfiff erneute wackelte, wussten wir: England führt 2:1 und dann gewannen sie auch. Die englische Party war ein großartiger Anblick und ich war froh, dass sie dieses Mal auch wirklich bei uns so feiern konnten, wie sie es von zuhause gewohnt waren. „Sweet Caroline“ und „Footballs coming home“ erschallte es überall. Igendwann durfte ich dann auch nach Hause und mein Abenteuer „UEFA-Volunteer“ war vorbei. Am nächsten Tag gab es noch eine Abschlussveranstaltung, auf der ich mich mit müden Knochen noch zwei Stunden hielt. Danach drehte ich eine letzte Runde um die EM-geschmückte Arena. Inzwischen ist alles für die Swift-Konzerte angerichtet. So schnell kann das gehen.

Es war ein großartiges Erlebnis und hatte alles, was ich mir im Vorfeld erhofft hatte. Die EM war für mich wirklich zu greifen und die Host-City Gelsenkirchen verwandelte sich für ein paar Wochen in einen Mittelpunkt der Fußballwelt. Ich war mittendrin. Besonders freute ich mich über diese Perspektive, weil die ständigen Pressemeldungen ständig ein anderes Bild von der EM, speziell in Gelsenkirchen, zeichnen wollte. Ich wusste es besser. Zudem stellte die UEFA jede Menge Ausrüstung, Kleidung, Taschen, Mützen. Wir durften alles behalten. Am Schluss gab es als Abschiedsgeschenk noch einen wirklich tollen Koffer. Man bemühte sich sehr um uns und ich hatte jederzeit das Gefühl, dass meine Arbeit dort gewünscht und wertvoll ist. Es gab Menschen, die von weit weg kamen, um in Gelsenkirchen Volunteer zu sein. Für mich war es um die Ecke. Ich würde es jederzeit wieder machen!