Einleitung: Finde Deinen eigenen Weg

Wenn Du dich bis hier durchgeklickt hast und das liest, bist Du wahrscheinlich auf der Suche nach Antworten, nach Regeln, nach Maßgaben, "Do's" und "Don't's", nach verallgemeinerten Richtlinien oder besser: nach einem Rezept für das Schreiben. Nach vielen Jahren als Autor und in der Schreibberatung an der Universität habe ich diese tiefe Sehnsucht selbst oft gespürt und bin noch häufiger mit der von Anderen in Kontakt gekommen.

Die schlechte Nachricht lautet: Es gibt kein Rezept für gute Bücher. Jeder Autor ist anders und um das noch auf die Spitze zu treiben, auch jeder Text ist anders. Schreiben ist jedes Mal die Kreation von etwas völlig Neuem durch einen völlig neuen Menschen. Denn auch der Mensch verändert sich jeden Tag, wobei ihm das nicht immer bewusst ist.

Die gute Nachricht lautet: Es gibt eben kein Rezept für gute Bücher. Es gibt nur Dich, Deinen Text und den Leser, eine intensive Dreiecksbeziehung voller Emotion und Intimität. Es gibt keine Regeln außer die eine, dass der Text dem Leser Freude machen soll, ihn packen, ihn für ein paar Stunden in eine völlig andere Welt entführen soll. Genau das ist das Ziel des Schreibens.

Deswegen kann das Rezept nur lauten: Finde Deinen eigenen Weg, den Leser zu entführen. Wenn ich meinen eigenen Weg bis hierhin betrachte, kann allerdings einige wenige Regeln formulieren, die meine Entwicklung beschleunigt haben oder, wenn ich sie nicht beachte, behindern können. Die meiner Ansicht nach wichtigsten habe ich hier kurz aufgelistet.

 

Drei Regeln zur persönlichen Weiterentwicklung als Autor

1.Stelle Dich Deiner Angst

Der Zusammenhang zwischen einem Text und der Biografie des Autors wurde lange Zeit auch von den Literaturwissenschaften als sehr wichtig erachtet. Und so sitzt man da an seinem Text und denkt sich, wenn ich jetzt das Bordell von innen beschreibe, dann denkt jeder, ich geh regelmäßig dahin. Diese Angst musst Du überwinden. Denn ein Leser wird viel häufiger einfach neugierig darauf sein, wie es denn in so einem Bordell aussieht. Die Passagen, die Du eigentlich gar nicht schreiben möchtest, weil sie Dir zu intim erscheinen, sind jene, die ein Leser so schnell nicht vergessen wird. Wenn uns etwas Peinliches, Unangenehmes oder Intimes widerfährt, denken wir schnell, wir hätten als einzige Menschen auf der Welt diese Erfahrung gemacht. Aber es ist nicht so. Denn woher sollte ein Leser wissen, dass die Bordell-Beschreibung realistisch ist, wenn er nicht selbst schon dort war?

Also stell Dich Deiner Angst, Intimes zu schreiben. Hol erst einmal alles aus Dir heraus, Du kannst es ja hinterher wieder löschen. Du wirst Dich wundern, wie gut das wird!

2. Stelle Dich jeder Kritik

Es bringt nichts zu sagen "Ich will das aber genau so schreiben", wenn Dir ein (Probe-)Leser sagt, er versteht es nicht. Noch schlimmer ist der Satz: "Das ist aber mein Stil". Die Vorstellung vom "eigenen Stil" behindert die Weiterentwicklung. Stil ist nichts, was Du von Vorne herein in einen Text mit hineinbringst. Er ist erst im Nachhinein die Summe der Mittel, mit denen Du den Leser in Deine Welt entführst. Wenn Du den Leser aber nicht mitnimmst, stehst Du da mit Deinem "Stil", niemand kann es nachvollziehen und lesen wird es auch keine wollen. Nimm also jede (konstruktive) Kritik dankbar auf, überlege, warum jemand etwas in Deinem Text nicht versteht und suche nach Alternativen. Die Kritik dient nur der Verbesserung Deines Textes und Deiner persönlichen Weiterentwicklung. Du wirst staunen, welche Ideen Du noch haben wirst, die Du ohne Kritik niemals gehabt hättest. 

3. Ein Text ist oft erst dann fertig, wenn Dir völlig egal ist, was andere von ihm halten.

Mindestens 50 % der Zeit, die ich an einem Text arbeite, finde ich ihn selbst total schlecht. An anderen Tagen denke ich wieder, es ist das Genialste, was je ein Mensch "zu Papier" gebracht hat. So genieße ich die optimistischen Phasen und versuche mich von den pessimistischen nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen.

Ich persönlich schreibe am besten mit einem sehr intensiven Überarbeitungprozess, das heißt, eigentlich ich einen Text zweieinhalb Mal. Zunächst das "erste Manuskript", also in seiner Rohfassung, um überhaupt zu erfahren, was in der Geschichte in allen Einzelheiten passieren wird, denn das weiß ich vorher nie. Dann überlege ich, wie ich diese Ereignisse inszenieren und anordnen kann. Daraufhin kürze ich pauschal 10 % des Textes, das ist ein guter Tipp von anderen Autoren. Denn ungefähr 10 % eines fertig geschriebenen Textes sind überflüssig. Das Ergebnis ist das, was ich das "lektoratsfertige" Manuskript nenne. Das gebe ich schon einmal ein oder zwei ausgewählten Probelesern und mache mich gleichzeitig an den Feinschliff. Sind die Zusammenhänge deutlich? Trägt jeder Satz zur Geschichte bei? Gibt es vage oder nicht zutreffende Formulierungen? Gibt es noch andere Möglichkeiten der Inszenierung? Zwischendurch höre ich mir der Meinungen der Probeleser an und prüfe intensiv, ob mich Tipps noch irgendwie weiterbringen. Je nach Verlag kommen dann noch die Diskussionen mit dem Lektor oder der Lektorin, die ich stets als sehr ergiebig empfinde. Tja, und wenn ich damit fertig bin, dann ist es mir meistens egal, ob noch Leute daran zu meckern haben, oder nicht. Mehr kann ich einfach nicht tun. Ein Text ist ohnehin nie fertig. Diesen Punkt zu erreichen, ist mein Ziel bei jedem Text, denn, so sehr ich mich über Druckfehler oder eine Formulierung nach Veröffentlichung noch geärgert habe, im Großen und Ganzen habe ich nie ein Wort bereut, dass auf diese Weise seinen Weg in den Druck gefunden hat.