Ein Gastbeitrag von Kim Radtke
Kim Radtke studiert Biologie an der Universität Duisburg-Essen und hat im Wintersemester 2022/23 zum ersten Mal an meinem Schreibseminar teilgenommen. Sie schreibt und liest schon seit ihrer Kindheit sehr viel. Am liebsten mag sie mörderische Geschichten mit skurrilen Charakteren.
Ich bin großer Fan des Krimigenres, Bücher, Filme, Serien, einfach alles. Aber nur wenige
bieten eine so fesselnde Geschichte wie der 2019 erschienene Film "Knives Out". Wer ihn noch
nicht gesehen hat, sollte sich vor Spoilern in Acht nehmen.
Der Film beginnt mit Multimillionär Harland Thromby, der seinen 85. Geburtstag feiert und
seine exzentrische Großfamilie eingeladen hat. Am Tag danach wird er tot aufgefunden. Die Polizei und Privatdetektiv Benoit Blanc werden zu den Ermittlungen hinzugezogen und in einer Reihe von Gesprächen mit Familienmitgliedern werden Geheimnisse und mögliche Motive für den Mord aufgedeckt. Jeder Einzelne ist verdächtig. Harlands Pflegerin Marta ist die letzte Person, die ihn lebend gesehen hat, und die einzige, die ohne versteckte Absichten zu Harlands Geburtstag erschienen ist. Sie denkt auch, dass sie ihn aus Versehen ermordet hat. Zu Beginn ist sie auf bestem Wege unauffällig zu bleiben, doch wie sich am nächsten Tag herausstellt, ist Marta auch die alleinige Erbin von Harlands Millionen. Und das passt der Familie ganz und gar nicht. Es folgt ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel, in welchem Blanc versucht, den Mörder zu entlarven, während Martha Alles tut, um ihre Schuld zu vertuschen.
Klingt erstmal gut, aber was genau macht diesem Film so genial und was kann man über das
Schreiben von ihm lernen?
Kurz gesagt: Der Film ist meisterhaft darin zu zeigen, wie das Verdrehen der Erwartungen des
Zuschauers einen guten Krimi von einem schlechten unterscheidet. Wenn man einen Krimi schreiben will, sollte man wissen, wie man sich das Genre zu Nutzen macht. Regisseur und Autor Ryan Johnson ist unglaublich gut darin. Denn er weiß, dass ein guter Krimi mit den Erwartungen der Zuschauer spielt.
Was als klassischer "Who dunnit"-Krimi im Agatha-Christie-Stil beginnt, entpuppt sich hier schnell als etwas vollkommen anderes. In der Mitte des Films ändert sich die ganze Geschichte, als sich herausstellt, dass Martha scheinbar die Mörderin ist. Der Film wandelt sich zu einer spannenden Geschichte über Martha, die versucht, mit ihren Taten davonzukommen. Es ist eine Wendung, die der Zuschauer nicht kommen sieht, da Marta zuvor die Einzige ist, die sich nichts aus Harlands Millionen macht. Wenn der Rückblick kommt und Martha entlarvt wird, ist dies ein Plot-Twist der nicht zu erwarten war. Und das ist schließlich essenzieller Bestandteil jeder Kriminalgeschichte.
Außerdem gelingt es Knives Out, die Tropes eines klassischen Krimis für sich zu nutzen und so die Erwartungen der Zuschauer zu manipulieren. Wir alle wissen, dass der Detektiv in jedem Krimi zweifellos herausfinden wird, wer der Mörder ist. Das ist ein wesentlicher Bestandteil des Genres. Aber als Zuschauer will man nicht, dass Marta erwischt wird. Sie wird als nette und fürsorgliche Person gezeigt, die im Vergleich zur Familie wie ein Engel wirkt. Die Tropes des Genres werden also hier selbst zum Antagonisten der Geschichte, da man sich trotz der Gewissheit, dass der Mörder entlarvt werden wird, erhofft, dass Marta davon kommt. Man hofft, dass nur dieses eine Mal eine Kriminalgeschichte anders ausgeht als sonst.
Kommen wir nun zu den eigentlichen Wendungen der Geschichte. Sie sind vielleicht der
wichtigste Teil des eines jeden Krimis. Die auffallendste Wendung des Films ist die Schlusszene. In dieser wird der eigentliche Mörder enthüllt und als Zuschauer will man sich vor den Kopf schlagen, weil man selber nicht darauf gekommen ist. Denn bereits zu Beginn des Films wird der Mörder als absolut unsympathischer Charakter dargestellt. Außerdem ist bereits am Anfang bekannt, dass der
eigentliche Mörder sowohl Motiv, als auch Gelegenheit hatte, um Harland zu ermorden. Aber
der Film lenkt von diesen Erwartungen der Zuschauer so geschickt ab, dass man vergisst, wer
der offensichtlichere Täter sein muss. Im Gegenteil: man findet diesen sogar sympathisch. Genau so eine Art der Unterwanderung sollte in jedem guten Krimi passieren, damit der Leser
nicht direkt den Täter errät. Den so fühlt sich schließlich sie Enthüllung umso kathartischer
an.
Ebenfalls kann man von Knives Out vieles über Charaktere und die Dynamik zwischen ihnen
lernen. Ein guter Krimi lebt von einer Menge an skurrilen und bemerkenswerten Charakteren. Denkt nur an Sherlock-Holmes-, oder Miss-Marple-Geschichten. Je eigenartiger die Figuren, desto besser bleibt eine Geschichte im Kopf. Vorausgesetzt man übertreibt es nicht. "Knives Out" ist ein Paradebeispiel darin, komplexe Charaktere mit eigenen Motiven in einem großen Ensemble zusammentreffen zu lassen und doch jedem einzelnen die Zeit zu widmen, die er oder sie verdient. Der Hauptcast umfasst 10 Personen und jede ist schräger und abgedrehter als die nächste. Trotzdem scheint man alle von ihnen am Ende zu kennen, denn sie alle haben eigene Motive und Hintergründe, was wichtig für gute Krimis ist. Wenn nur der Mörder ein Motiv hat, wird es schnell offensichtlich. Wenn die meiste Aufmerksamkeit ebenfalls nur ihm oder ihr gewidmet wird, ist es auch langweilig. Man sollte also jeden einzelnen Charakter möglichst interessant und vielschichtig gestallten, damit der Leser bis zum Ende im Dunkeln bleibt und miträtseln kann.
Und ich denke auch, dass die Besetzung eine wichtige Rolle gespielt hat. Den charismatischen Chris Evans alias Captain America, als Mörder zu besetzen, ist etwas, das niemand erwartet. Es ist ein geniales Beispiel dafür, wie man Type-Casting zu seinen eigenen Vorteilen nutzen kann, denn niemand würde zunächst erwarten, dass Chris Evans, der Jahrzehnte lang ein Held war, nun der Böse ist. Auch so gelingt es "Knives Out", die Erwartungen der Zuschauer umzudrehen und zu nutzen, um eine gute Kriminalgeschichte zu erzählen. Daraus kann man lernen, dass man den Bösewicht am besten nicht zu böse wirken lässt. Und die Unschuldigen nicht zu unschuldig. Denn ohne ein bisschen Spannung und Rätselraten würde ein Krimi keinen Spaß mehr machen.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass "Knives Out" die perfekte Wahl ist, wenn man einen
guten Krimi liebt und überlegt selbst einen zu schrieben. Vom Aufbau bis hin zu den Charakteren kann man für sein eigenes Schreiben viel von der Geschichte lernen. Denn obwohl die Story mit Anspielungen auf Christie und Conan-Doyle gespickt ist, ist sie trotzdem so originell und erfrischend, dass man sie auf jeden Fall gesehen haben muss. Selbst wenn es bloß zum Vergnügen ist. (gepostet: 19.2.2023)