Geschichten abschließen - Geht das überhaupt?

 

ein Gastbeitrag von Mara Alea Gosdzick

 

Mara Alea Gosdzick studiert Politikwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen und nahm schon an mehreren Schreibseminaren teil. Sie schreibt für ihr Leben gern. Sie selbst sagt, dass ihr Kopf dabei einer Geschichtenfabrik gleicht, die unaufhörlich Szenen und Ideen für Geschichten produziert. Da sie diese kreative Seite im Studium nicht so oft nutzen kann, schreibt sie in ihrer Freizeit gerne und hofft irgendwann mal ein Buch veröffentlichen zu können. Ihr Text behandelt ein Thema, das sicher sehr viele andere AutorInnen ebenso bewegt. Wie kann ich eine Geschichte zu Ende schreiben?

 

 

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„Wie viele Wörter hat ein Roman im Durchschnitt?“, lautete meine Frage an das allwissende Google schon des Öfteren. Die Antwort, mit der ich mich zufriedengab: „zwischen 70.000 und 150.000 Wörtern“. Ich nahm den Taschenrechner und dachte nach: Wenn man davon die Mitte nimmt, um sich zu orientieren, dann sind das 110.000 Wörter. Wenn man am Tag 1000 Wörter schreibt, dann sind das 110 Tage.

 

Funktioniert so schreiben? Ich weiß es nicht. Ideen waren nie meine Schwäche. Ich träume sehr bildlich. Mein Gehirn produziert fast jede Nacht einen neuen Kinofilm und mein Schlaf ist die Premiere, zu der ich eingeladen bin. Wenn ich in der Uni bin, muss nur jemand einen Kommilitonen nach einem Stift fragen und sofort spinnt mein Kopf eine Szene wie in einem Film. Es ist wie ein Faden, der plötzlich aus dem nichts auftaucht, den mein Kopf dann weiter zu einer Geschichte webt.

 

Vor ein paar Jahren habe ich mir angewöhnt, diese Geschichten aufzuschreiben und inzwischen habe ich eine riesige Sammlung von Ideen. Das wird sich für viele erst einmal toll anhören, für mich ist es das aber nur bedingt. Teil dieser Sammlung sind nämlich auch ein Haufen Textdokumente, die auf der Festplatte meines Computers verrotten und seit Monaten oder sogar Jahren nicht mehr geöffnet wurden.

 

Jedes Mal, wenn ich eine Idee habe, von der ich überzeugt bin, setze ich mich ran und beginne zu schreiben. Es macht mir Spaß, den Gedankenfluss aus dem Kopf zu bekommen und ich freue mich auf das, was da entsteht, aber irgendwann höre ich auf, manchmal, weil ich eine viel bessere Idee habe und manchmal auch einfach nur so.

 

Mittlerweile darf ich mir, bei jeder neuen Idee, die ich meinem Freund erzählen will, ein wertendes Gesicht anschauen, was mir ohne Worte sagt: „Schreib doch erstmal einer deiner anderen Ideen zu Ende“. Meist folgt dieser Satz wortgetreu trotzdem noch, auch wenn ich Ihn schon von seinen Lippen ablesen kann.

 

Vor einiger Zeit habe ich daher also angefangen mir auszurechnen, wie viel ich regelmäßig schreiben müsste, um bei einem Projekt voranzukommen. 110 Tage mit je 1000 Wörtern. Das führte am Anfang dazu, dass ich super motiviert mit einem heißen Tee an der Tastatur meines Computers saß und er kalt wurde, bevor ich ihn trinken konnte, weil ich zu sehr in die Geschichte vertieft war und es an einem Tag nicht nur 1000, sondern an die 3000-6000 Wörter waren, die ich schrieb. Tja, aber spätestens an Tag 5 hatte ich dann eben keine Motivation mehr und selbst 700 Wörter fielen mir plötzlich schwer. An Tag 6 schrieb ich dann gar nicht mehr, ein weiteres angefangenes Projekt mit um die 10.000 Wörtern, was ich nicht weiterschreiben würde. Projekt 110 Tage war gescheitert.

 

Beim Lesen eines Buches lernte ich dann etwas über die Idee eines 30 Tage Romans. Manche Romane haben weitaus weniger als 100.000 Wörter – so kam die Autorin auf die Idee, für 30 Tage jeden Tag um die 3.000 Wörter zu schreiben, um so in 30 Tagen auf ca. 90.000 Wörter zu kommen. Sofort sprintete ich zu meinem Computer, öffnete ein Word-Dokument und ihr dürft jetzt gerne raten, wie viele Wörter dieses Dokument, was ich zuletzt vor fast 2 Jahren geöffnet habe, hat: 1.520 Wörter. Diese Methode hat also nicht mal für einen Tag funktioniert.

 

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass ich als Kind von meinen Eltern einmal 5 Euro angeboten bekommen habe, wenn ich ein kleines Heftchen mit einer Geschichte fülle. Es musste von Anfang bis Ende vollgeschrieben sein und sie würden mir am Ende das Geld geben. Da dies alles in einer Zeit spielt, in der Kratzeis an der Bude um die Ecke noch nur 10 Cent gekostet hat, könnt ihr euch vorstelle, wie wertvoll diese 5 Euro für mich waren. Innerhalb einer Woche war ich um 5 Euro reicher und mein Zukunfts-Ich ein Berufsleben lang vermutlich arm wie eine Kirchenmaus, denn was meine Eltern an diesem Tag erzeugt hatten, war der fest verankerte Gedanke, dass ich mit Schreiben mein Geld verdienen will. Nur leider war das die erste und auch einzige Geschichte, die ich jemals zu Ende geschrieben habe. Keine guten Voraussetzungen für eine Autorin, oder?

 

Lange Zeit habe ich deswegen einfach aufgehört zu schreiben. Es hatte keinen Sinn. Ich schrieb weiterhin meine Ideen auf und notierte mir auch ab und zu Ideen zu den Geschichten, aber das wars.

 

Dann: 2021, als ich noch einen E3-Kurs für mein Studium benötigte entdeckte ich den Kurs „Kreatives Schreiben“ und war sofort interessiert. Durch die Abgaben war ich gezwungen zumindest Kurzgeschichten abzugeben und merkte, dass es mir zwar nicht leichtfiel, es aber dennoch nicht unmöglich war Geschichten auch wirklich zu Ende zu schreiben. Ein Jahr (und immer noch keine signifikant vor dem Ende stehende Geschichte) später schreibe ich diesen Text für einen weiteren Schreibkurs „Schreiben als Beruf“ und erhoffe mir von diesem Seminar, dass ich eventuell eine Methode an die Hand bekomme, mit der ich endlich meine Ideen zum Leben bringe, damit sie nicht weiter halb fertig in den Datenmengen meiner Festplatten festsitzen.

 

Ich denke, dass ich einen guten Ansatz bereits gelernt habe: Um eine Geschichte zu beenden, muss man einfach nur … 

 

... weiterschreiben.

 

(gepostet: 23.03.2023)