Megadeth - Rust in peace (1990)

 

 

1. Holy wars ... the punishment due

2. Hangar 18

3. Take no prisoners

4. Five magics

5. Poison was the cure

6. Lucretia

7. Tornado of souls

8. Dawn patrol

9. Rust in peace ... polaris

 

 

 

 

Megadeth sind "nur" eine Jugendliebe, das muss ich zugeben, und doch eine, die ein paar Jahre nach der Schulzeit noch einmal eine Auffrischung erfahren hat. Sie wurde verursacht durch „Rust in Peace“ und dies ist der Grund, warum ich mich weder für mein Einstiegsalbum „Countdown to extinction“ noch für das von mir damals favorisierte „Peace sells … but who’s buying?“ entschieden habe.

 

Wahrscheinlich muss man so um das Jahr 1991 beginnen. Metal war die große Sache schlechthin und neben Metallica’s „Enter Sandman“, Guns N‘ Roses‘ „You could be mine“ lief auch das Video von „Symphonie of destruction“ bei MTV rauf und runter.  Entsprechend sah der Weihnachtswunschzettel eines 14-/15Jährigen wie mir damals aus. Zwar habe ich mir die Alben selbst unter den Weihnachtsbaum gelegt, weil meine Eltern meinten, sie finden die CDs nicht im Laden, aber nach exzessivem Anhören bestand für mich bei allen drei Bands die Pflicht, sämtliche anderen Alben auch zu kaufen. Das war nicht schwer, denn zum Glück gab es die älteren für den „Midprice“ von 20 DM, während die neuen alle mindestens 30 DM kosteten. Sonst standen bald, im Fall von Megadeth, neben „Countdown to extinction“ auch „ Peace sells“, „Killing is my business“ und „So far, so good, so what“ im Regal. Nur diese eine CD mit diesem wahnsinnig coolen Cover, Vic Rattlehead in einem Hangar vor einer Alienleiche und hinter ihm führende Politiker der damaligen Zeit, kostete immer noch die verdammten 30 DM. Monatelang bin ich drum herumgeschlichen, dann schließlich konnte ich nicht mehr und gab diesen Haufen Kohle endlich aus.

 

Zuhause hörte ich „Holy wars“ und war sofort geflasht. Es ging mir Monate lang nicht aus dem Kopf, ähnlich wie der finale Titeltrack. Nur dazwischen, ach, das wollte mir nicht so recht in den Schädel. Nachdem ich also den ersten und den letzten Song totgehört hatte, verschwand die CD im Regal und harrte eigentlich ihrem Schicksal, ein, zugegeben sehr schmucker, Raumfüller zu werden. Als ein paar Jahre später „Youthanasia“ herauskam, habe ich mir das Album zwar noch gekauft. Doch in meinem, nach sphärischen Pendants zu Alben wie Tiamats „The astral sleep“, Paradise Lost’s „Icon“ oder Amorphis‘ „Tales from the 1000 lakes“ lechzendem Kopf fiel die neue Megadeth komplett durch. Die Jugendliebe war vorbei.

 

Ungefähr sieben Jahre später, meine Musikfaszination bewegte sich irgendwo zwischen Genesis, Dire Straits, Pink Floyd und maximal Blind Guardian und die neu entdeckten Dream Theater konnten mich metaltechnisch noch fesseln, fiel mir „Rust in peace“ wieder in die Hände. Da dachte ich mir: Wie kann denn bitte ein Album mit so einem großartigen Cover so mittelmäßig sein? Also legte ich die CD noch einmal ein und auf einmal traf es mich mit voller Wucht. Mittelmäßig? Ich muss was an den Ohren gehabt haben! Das Ding ist einfach genial! Wahrscheinlich musste ich mich erst einmal in diese "Prog-Richtung" entwickeln, um das zu erkennen. Und so kam ich, wenn auch mit ein paar Jahren Verspätung, zu der folgenden Meinung über dieses Album:

 

Für mich ist „Rust in Peace“ das kompositorisch beste Album, das Megadeth bis Mitte der 90er fabriziert haben. Tatsächlich hat es im Vergleich zu den anderen einen leicht progressiven Einschlag, wobei es der Band und nicht zuletzt Dave Mustaine gelingt, eine wahre Armee an geilen Riffs zu durchweg eingängigen Songs zusammenzubasteln. Das beschert dem Album ein Energielevel, das für mich bis heute unter den Metalbands seines gleichen sucht. Die Spielfreude dieser vier großartigen Musiker Mustaine, Friedman, Ellefson und Menza scheint grenzenlos.

 

Bis zu diesem Punkt ihrer Karriere waren Songs mit über sechs Minuten Spiellänge bei Megadeth nicht sehr häufig. Der Opener „Holy Wars … the punishment due“ ist auf jeden Fall seine Zeit wert. Es ist ein Song, nach dem sich jede Metalband der Welt bis heute alle zehn Finger lecken muss. Schnell, dynamisch entlädt sich die Energie der Verzweiflung über aus Profit und Machtgier inszenierte Kriege, bricht mittendrin in einen düsteren Part, nur um dann die gleiche Explosion noch einmal zu vollziehen. Recht sperrig für einen Opener könnte man denken. Daher ist der heimliche Titeltrack, weil er sich auf das Cover bezieht, mit „Hangar 18“ eher melodiös gehalten und hätte sicher auch auf dem einen oder anderen Maiden-Album Platz finden können. Allerdings stimmt auch bei diesem, was eigentlich für alle Lieder der Platte gilt. Aus den Ideen eines Songs machen andere Bands ganze Alben. Ist ein Klischeesatz, aber wenn’s nun einmal stimmt …

 

„Your body has parts your country can spare, by the way son here’s your wheelchair“ – klar, Krieg ist kein neues Thema bei Megadeth, aber “Take no prisoners” ist ein leuchtendes Beispiel dafür, warum gerade das Mustaine immer wieder bewegt. Hier springt einem nicht nur Hass und Wut entgegen, sondern Bilder, die im Kopf bleiben. Atemberaubend! „Five magics“ kommt danach zunächst im Vergleich etwas sanfter daher, lässt sich Zeit, auch wenn es schon Fahrt aufgenommen hat und mag so etwas wie der progressive Höhepunkt des Albums sein. Kein wirklich eingängiger Refrain, das gilt ebenso für die folgenden Stücke. Dafür etliche Parts, die sich zu einer Geschichte über den Meister der fünf Magier verdichtet.

 

Wem das zu wenig eingängig war, wird sicher in „Poison was the cure“ etwas finden, das mehr nach seinem Geschmack ist. Der hat zwar auch keinen Refrain, dafür geht er ordentlich in den Fuß und darf als angemessener Einstieg für den zweiten Teil der Platte gelten. Es war ja noch die Endzeit des Vinyls!

 

Man liest so einiges über Themen der Songs, aber ob „Lucretia“ tatsächlich von Mustaines hellsehender Großmutter handelt, wie der Text suggeriert, darüber konnte ich keine Meinung finden. Jedenfalls groovt er und beendet die Reihe von insgesamt fünf Liedern ohne Refrain, was möglichweise ein Grund dafür ist, warum ich sie früher nicht so eingängig fand.

 

Also, wenn „Tornado of souls“ nicht einmal einer DER Megadeth-Songs ist. Fast eine Art musikalischer Lexikoneintrag für den Stil der Band. Für mich nimmt er ein wenig das vorweg, was die Band auf „Countdown to extinction“ ausgezeichnet hat, nämlich schnelle, eingängige Songs, die im Kopf bleiben und die bis zum Ende immer noch einmal eine Schippe drauflegen. Ungewohnte Klänge kommen dann dem Ohr mit „Dawn Patrol“ entgegen, bei dem ich jedes Mal an einen Zombie-Walk denken muss. Das ergibt auch Sinn, wenn man es als Intro zum letzten Stück „Rust in peace … Polaris“ betrachtet, das die gleichnahmige US-Mittelstreckenrakete zum Thema hat. Klar, was wäre dieses Album ohne die finale Apocalypse, in der sich die Menschheit zurück in die Steinzeit bombt? Wobei man dazu sagen muss, dass letztlich die Aussage auf die des Albumtitels hinausläuft: „Rostet in Frieden … Polaris(-Raketen)!" Was für ein Abgesang für den Kalten Krieg ausgerechnet in diesem Jahr!

 

Vielleicht ist es jemandem aufgefallen. Ich schreibe den ganzen Artikel über von Megadeth als Band, entgegen aller Geschichten über „Megadave“ als Bandleader mit tyrannischen Ambitionen. Denn in einer Sache bin ich mir sicher: Ein solches Meisterwerk schafft man nicht alleine und vor allem nicht als unverbesserlicher Sturkopf. Klar braucht es Durchsetzungsvermögen, aber nach diesem Album hat die Bandbesetzung in dieser Form immerhin fast zehn Jahre gehalten. Eine solche Schöpfung schweisst zusammen und für mich als Autor, der noch viel mehr ein Einzelkämpfer zu sein scheint, heißt das: Egal, wie weh eine Kritik manchmal tun kann, die letzten paar Prozente bis zu einer richtig guten Schöpfung erreicht man niemals im stillen Kämmerlein, sondern nur, indem man sich auseinandersetzt. Und ich bin mir sicher, Mr. Mustaine würde mir in einer ruhigen Minute zustimmen.